Börsen-Zeitung: Renaissance der Versorgeraktien

Von Fre­de­rik Alt­mann *)
Bör­sen-Zei­tung, 25.8.2021

Die Akti­en der euro­päi­schen Ver­sor­ger sind im ver­gan­ge­nen Jahr wie­der in einen Dorn­rös­chen­schlaf gefal­len. Sie haben sich per Sal­do seit­wärts bewegt. Aus tech­ni­scher Sicht arbei­tet das Bran­chen­ba­ro­me­ter Sto­xx Euro­pe 600 Uti­li­ties aber flei­ßig an einem Aus­bruch nach oben. Der Sek­tor hat nun gute Chan­cen eine Renais­sance zu erle­ben.

Im Anstieg der ver­gan­ge­nen zwei Wochen nah­men die Wer­te neu­es Momen­tum auf. Der im Janu­ar bei 409 Punk­ten ein­ge­lei­te­te mit­tel­fris­ti­ge Abwärts­trend wur­de nach oben durch­bro­chen, im Chart ein posi­ti­ves Signal gege­ben. Die lan­gen wei­ßen Ker­zen mit sehr klei­nen oder kei­nen Schat­ten ver­deut­li­chen im Chart die Kraft der Bewe­gung mit kon­ti­nu­ier­lich stei­gen­den Kur­sen in die­ser Phase.

Die Aus­bruch­be­we­gung wird auch von der Markt­tech­nik mit einem fri­schen Kauf­si­gnal des MACD-Index bekräf­tigt. Die­ser sehr viel beach­te­te Moving Avera­ge Con­ver­gen­ce/­Di­ver­gence-Indi­ka­tor ver­bild­licht das Ver­hält­nis zwei­er glei­ten­der Durch­schnit­te mit kur­zer und mit­tel­fris­ti­ger Lauf­zeit zuein­an­der. Wenn – wie aktu­ell – der reagi­ble­re kur­ze Moving Avera­ge an Fahrt auf­nimmt und sich vom lang­sa­me­ren, län­ge­ren Schnitt nach oben ent­fernt, dreht auch die MACD-Linie hoch und ist Vor­bo­te eines neu­en Trends. Ein Kauf­si­gnal wird dann mit dem Schnitt der (lila) Signal­li­nie von unten nach oben gege­ben. Die­ses Signal hat zuletzt bei den Ver­sor­gern den Aus­bruch nach oben bekräf­tigt.

Zwei Hür­den vor­aus
Zunächst müs­sen die euro­päi­schen Ver­sor­ger in ihrem Auf­wärts­trend aber noch zwei wich­ti­ge Hür­den neh­men, um das Chart­bild end­gül­tig posi­tiv zu gestal­ten. Bei 409 und bei 419 Punk­ten ste­hen Wider­stän­de aus den Zwi­schen­hochs vom Janu­ar die­ses Jah­res und vom Febru­ar 2020. Sol­che Extrem­wer­te in der Kurs­his­to­rie haben in der tech­ni­schen Ana­ly­se stets beson­de­re Bedeu­tung. Sie zei­gen Punk­te auf, an denen es zu einer ent­schei­den­den Ver­än­de­rung im Ver­hält­nis von Ange­bot und Nach­fra­ge kam. An einer Kurs­spit­ze gewan­nen die Ver­käu­fer in der Ver­gan­gen­heit die Über­hand über die zuvor domi­nan­ten Käu­fer am Markt. Der Preis dreh­te ent­spre­chend nach unten ab.

Hin­zu kommt auf aktu­el­lem Niveau noch eine län­ger­fris­tig lang­sam fal­len­de Trend­li­nie über die bei­den genann­ten Preis-Extre­ma als Wider­stand, mit dem der Sto­xx Euro­pe 600 Uti­li­ties kämpft. Ent­spre­chend könn­te es erst ein­mal einen Rück­set­zer im Kurs geben, der aber ange­sichts des posi­ti­ven Gesamt­bilds eine Kauf­ge­le­gen­heit bie­ten soll­te. Im Zwi­schen­fa­zit ste­hen aus tech­ni­scher Sicht also noch nicht alle Ampeln für die Ener­gie­wer­te auf Grün. Hier­zu müss­ten erst Kur­se über 419 Punk­ten in dem Ver­sor­ger­index erreicht wer­den, um mit dem neu­en Hoch ein wei­te­res, klas­si­sches Kauf­si­gnal zu gene­rie­ren. Der Weg wird frei für seit 2008 nicht mehr gese­he­ne Kurs­ni­veaus.

Posi­ti­ves Gesamt­bild
Die Kur­se der Ener­gie­fir­men erschei­nen gut nach unten abge­si­chert. Bereits bei knapp 395 Punk­ten liegt eine hori­zon­ta­le Unter­stüt­zung aus dem jüngs­ten Zwi­schen­hoch. In der tech­ni­schen Ana­ly­se gilt, dass nach­hal­tig durch­bro­che­ne Wider­stän­de sich zur Unter­stüt­zung wan­deln, da mit dem Bruch ein neu­es Bewer­tungs­ni­veau des Titels ange­steu­ert wird. Es kommt nicht mehr wie zuvor zu einem Kip­pen im Ver­hält­nis von Ange­bot und Nach­fra­ge. Das Kauf­in­ter­es­se bleibt groß genug, um die Kur­se wei­ter anzu­trei­ben. Bei einem Rück­set­zer auf das Niveau sind Käu­fer dann froh, auf dem ermä­ßig­ten Niveau noch mal Akti­en ein­sam­meln zu kön­nen. Es resul­tiert eine Unter­stüt­zung für den Wert. Mit wei­te­rer Unter­stüt­zung wäre bei 380 Punk­ten zu rech­nen, eben­falls durch eine Hori­zon­ta­le über ein Vor­gän­ger­hoch. Die­ses Kurs­ni­veau hat sich in den ver­gan­ge­nen Wochen bereits als wich­ti­ges Niveau erwie­sen, von dem letzt­lich auch der neue Kurs­an­stieg gestar­tet wur­de. Hin­zu käme in die­sem Bereich auch der lang­fris­ti­ge Auf­wärts­trend als Hal­te­punkt im Fal­le einer Kor­rek­tur. Die­se Unter­stüt­zung soll­te einem Test aber auch stand­hal­ten. Mit Kur­sen unter dem Lang­frist­trend wür­de sich das tech­ni­sche Bild schlag­ar­tig ver­schlech­tern. Daher soll­ten hier auch Stopps gesetzt wer­den.

Auch bei den gro­ßen deut­schen Ver­sor­gern Eon und RWE pas­sen die fun­da­men­ta­len Aus­sich­ten zum posi­ti­ven tech­ni­schen Gesamt­bild. Mit der zuneh­men­den Elek­tri­fi­zie­rung der Gesell­schaft wächst der Ener­gie­be­darf ste­tig wei­ter an. RWE und Eon haben mit ihrer umfang­rei­chen Trans­ak­ti­on um Inno­gy gemein­sam ihr Pro­fil geschärft und sich klar am Markt posi­tio­niert. RWE ist nun der Pri­mus für erneu­er­ba­re Ener­gien, Eon ist beson­ders stark in der Ver­tei­lung des Stroms. Im euro­päi­schen Ver­gleich kön­nen die Wer­te durch­aus favo­ri­siert wer­den. Ein wei­te­rer wich­ti­ger Punkt sind die Zin­sen. Die Bran­che gilt als „Bond pro­xy“, also als Anlei­he­er­satz mit sta­bi­len Divi­den­den- und soli­den Geschäfts­er­war­tun­gen. Die­se Wer­te reagie­ren zwar wegen der meist hohen Ver­schul­dung sen­si­bel auf Zins­be­we­gun­gen. Ein belas­ten­der Zins­an­stieg ist aktu­ell aber wei­ter­hin nicht zu erwar­ten. Gleich­zei­tig wirkt die stei­gen­de Infla­ti­ons­ra­te über ver­mehr­te Kapi­tal­zu­flüs­se posi­tiv auf schwer­ge­wich­ti­ge Ver­sor­ger. Somit ste­hen die Chan­cen aus tech­ni­scher, aber auch fun­da­men­ta­ler Sicht gut, dass bei den Ver­sor­ger­ak­ti­en der Kno­ten end­gül­tig (nach oben) plat­zen kann.

*) Fre­de­rik Alt­mann ist Invest­ment­ana­lyst bei Alpha Wertpapierhandel.


Veröffentlicht am

von