Vorsicht vor der Bärenmarktrally
Von Frederik Altmann *)
Börsen-Zeitung, 22.6.2022
Die von den Vereinigten Staaten ausgehende Zinswende, Lieferengpässe, die nicht zuletzt durch den Ukraine-Krieg anziehende Inflation und eine daraus resultierende Sorge vor Stagflation lassen den Dax taumeln. Nachdem die Geldschwemme in den vergangenen Jahren alle Assetklassen angetrieben hatte, lässt die nun anstehende Drosselung des billigen Geldes wohl auch wieder alle Vermögenswerte sinken.
Aus technischer Sicht ist der Dax stark angeschlagen. Auch wenn es auf dem erniedrigten Niveau immer wieder Erholungsrallys geben wird, sollten sich Anleger nicht zu schnell zur vermeintlichen Schnäppchenjagd verlocken lassen.

Offenbar bewegt sich der Dax derzeit im Abwärtskanal nach unten, auch wenn die Bestätigung durch ein drittes Auflagetief noch aussteht. Dieser zieht sich über die beiden Tiefs im Oktober 2021 und März 2022 nach unten. Der Kanal wird von der Rückkehrlinie umfasst, die mit immer niedrigeren Hochs die steile Abwärtsbewegung klar begrenzt. Dem zwischenzeitlichen Ausbruchsversuch nach oben Ende Mai fehlte dagegen die Nachhaltigkeit.
Widerstand bröckelt
Nach einer Reaktion bis knapp unter den wichtigen Widerstand um 14 900 Punkte – hier lagen das Reaktionshoch Anfang April und das Oktobertief – prallte der deutsche Standardwerteindex wieder nach unten ab. Mit einer Kurslücke startete er in die vergangene Woche und droht nun die Marke um 13 600 Punkte aufzugeben. Hier hatten die Hochs aus den Jahren 2018 und 2020 als Unterstützung gedient. Diese Zone bietet nun erheblichen ersten Widerstand in einem Rebound.
In einer Bärenmarktrally können die Kurse nach zuvor aggressiven Verkäufen sprunghaft nach oben schnellen. Reaktionsziele nach oben sind die vormaligen Rekordhochs bei 13 597 und 13 795 Punkten. Könnte diese Zone zurückerobert werden, wäre das ein erster Hoffnungsschimmer. Ins Positive wandelt sich das Bild aber erst mit einem nachhaltigen Anstieg über 14 925 Punkte.
Verkäufe geboten
Dennoch sollten Anleger sehr vorsichtig bleiben. Denn die Marktpsychologie hat sich seit Anfang des Jahres gewandelt: Es gilt nicht mehr Schwäche zu kaufen, wie in den vergangenen Jahren, sondern Kursstärke zu verkaufen. In der Bärenmarktrally, die unter 14 925 Punkten ausläuft, gilt es somit Aktien eher abzubauen.
Ein zuverlässiges Instrument zur Abschätzung der aktuellen Risiken ist die Analyse auf Basis der Zahlenreihe von Fibonacci. In der technischen Analyse geht man demnach davon aus, dass starke Kursbewegungen in der Folge in bestimmten Relationen korrigiert werden beziehungsweise sich in der Korrekturrichtung regelmäßig ausweiten.
Korrektur nach Erholung
Die steile Erholungsbewegung ausgehend vom Coronatief im März 2020 bei 8 256 Punkten bis zum Rekordhoch im November 2021 bei 16 290 Punkten wird in der aktuellen Abwärtsbewegung korrigiert. Das minimale Rückschlagsziel bei 38,2 % dieses Anstiegs von 13 221 Punkten ist bereits unterschritten, so dass nun mindestens mit einem Rückgang im Dax bis um die Hälfte der Ursprungsbewegung bei 12 273 Punkten zu rechnen ist. In diesem Bereich bei 12 439 Punkten liegt auch das jüngste Tief mit seiner unterstützenden Wirkung.
Generell werden aber eher Kursregionen angestrebt, in denen mehrere Argumente auf einmal die Signifikanz der Unterstützung untermauern. Das ist beim Dax oberhalb von 11 000 Punkten, aber auch an der zudem psychologisch besonders bedeutsamen Schwelle von 10 000 Punkten der Fall. Hier kommt zusätzlich eine ebenfalls auf Basis der Fibonacci-Zahlen ermittelte Methode zur Bestimmung von Kurszielen (Unterstützungen in der Korrektur) zum Zuge. Diese Zielmarken zeigen die Fibonacci-Extensionen aus der Reaktion bis 14 925 Punkte, die auf den ersten Korrekturimpuls im März bis auf das Zwischentief bei 12 439 Zählern folgte.
Breite Auffangzone
So ergibt sich oberhalb von 11 000 Punkten bereits eine relativ breite Auffangzone für den Dax, die bei 11 450 Zählern startet. Hier verbindet eine Horizontale mehrere wichtige Korrekturniveaus im März und August 2019 sowie im März und Oktober 2020. Zudem wären bei 11 325 Zählern mehr als zwei Drittel der Ursprungsbewegung in den Jahren 2020 und 2021 korrigiert an der Fibonacci-Marke von 61,8 %. Als drittes Argument kommt die 100-%-Fibonacci-Extension bei 11 079 Punkten hinzu. Last but not least hilft die Psychologie der runden Marke. Eine vergleichbare Ballung von Unterstützungen liegt oberhalb von 10 000 Punkten. Auch hier gibt es signifikant wichtige Horizontalen sowie zwei Unterstützungen nach der Fibonacci-Theorie und die Schwelle zur Vierstelligkeit.
Die vorerst letzte entscheidend wichtige Unterstützung liegt dann bei 8 256 Punkten auf Höhe des Tiefpunktes der „Coronakorrektur“ von 2020. Hier wäre die Anstiegsbewegung vollständig wieder abgearbeitet und negiert. Angesichts dieser weiter erheblichen Risiken sollten sich Anleger nicht zu früh in zwischenzeitliche Bärenmarktrallys einkaufen.
*) Frederik Altmann ist Investmentanalyst bei Alpha Wertpapierhandel.