VWAP steht für Volume Weighted Average Price, der volumengewichtete Durchschnittspreis.
An dieser Stelle als Erstes die Definitionen von Volumen und Umsatz:
- Volumen beschreibt die Anzahl der gehandelten Aktien*. Die dazugehörige Einheit ist Stück.
- Umsatz ist der Gesamtwert aller in einer Periode gekauften/verkauften Waren. Es wird also von jedem Produkt die Anzahl der gekauften/verkauften Produkte mit dem Verkaufspreis multipliziert.
Bezogen auf den Aktienhandel ist der Umsatz demnach eine Zahl, die mit einer Währung verknüpft sein muss.
*: In diesem Artikel stehen „Aktien“ oder „Futures“ als Platzhalter für börsengehandelte Produkte. Auch „börsengehandelt“ ist wichtig, denn für die Berechnung des VWAP wird repräsentatives Volumen benötigt. Damit kann der VWAP nicht für CFDs oder Forex berechnet werden.
Für Charles Dow war bereits vor über 100 Jahren das Volumen der wichtigste, sekundäre Faktor beim Börsenhandel. „Volume must go with the Trend“ ist eine der Kernaussagen in der Dow-Theorie. Das Volumen wird verwendet, um zum Beispiel einen Trend zu bestätigen oder potenzielle Wendepunkte zu identifizieren.
Bei einem klassischen Chart wird das Volumen in einem separaten Fenster als Histogramm dargestellt. Dabei entspricht ein Balken des Histogramms der definierten Zeiteinheit, zum Beispiel einem Tag oder 1 Stunde. Das Volumen wird also mit der Zeit verankert. Mit einem Blick lässt sich erkennen, wie viel Volumen an diesem Tag, zu dieser Stunde oder allgemeiner gesagt: zu einer definierten Zeiteinheit stattgefunden hat.
Die meisten Indikatoren, welche in der technischen Analyse verwendet werden, sind eine mehr oder weniger komplizierte, mathematische Ableitung vom Preis. Ohne dass ein anderer Faktor in die Berechnung mit einfließt.
Indikatoren, bei welchen zum Preis das Volumen in die Berechnung mit einbezogen werden, sind zum Beispiel die ADL (Accumulation Distribution Line), das OBV (On Balance Volume) oder der CMF (Chaikin Money Flow Index).
Beim VWAP fließt das Volumen und der zu diesem Volumen gehandelte Preis in die Berechnung mit ein. Er entspricht dem Wert aller Umsätze, geteilt durch das gesamte Handelsvolumen für den aktuellen Tag - bei der Betrachtung des Tages-VWAPs. Beim Wochen-VWAP wird der Umsatz der gesamten Woche durch das Handelsvolumen der Woche geteilt.
In Abbildung 1 ist der S&P Future (ES 03-21) vom 14.-18.12.2020 im Stundenchart mit Intraday-VWAPs und einem Wochen-VWAP abgebildet. Aufgrund der Berechnung ist der Verlauf der beiden VWAPs am Montag identisch, ab Dienstag dann mit unterschiedlichem Verlauf.
Berechnung
Tickdaten versus Zeit-basiertem Chart
Ausgehend von der Berechnung des VWAP wird klar, dass die genaueste Basis für dessen Berechnung Tickdaten sind. Ein Tick repräsentiert eine Preisfeststellung, wie viel Stück (= Volumen) bei einer Preisfeststellung gehandelt wurden. Die Preisfeststellungen werden in den Times & Sales zum Beispiel einer Aktie oder eines Futures dokumentiert. Bei illiquiden Werten sind das ein paar Preisfeststellungen am Tag, bei einem hochliquiden Future geht das in die Zehntausende.
Tickdaten: \(VWAP\ (Tickdaten)=\ \frac{\sum(Anzahl\ der\ gehandelten\ Aktien \times Preis)}{Anzahl\ aller\ gehandelter\ Aktien}\)
Also rechnen wir mal nach, und zwar am Beispiel der Daimler-Aktie. Datenquelle sind die Tickdaten (= Times & Sales) von XETRA, vom 03.11.2020 zur Eröffnung. Diese Daten können auf der Seite der Deutschen Börse AG kostenlos abgerufen werden. Die erste Preisfeststellung erfolgte um 9:02:31 Uhr.
In diesem Beispiel werden die ersten 3 Preisfeststellungen für die Berechnung des VWAP herangezogen. Jede Preisfeststellung entspricht einem Tick:
- Volumen: die gehandelten Stücke
- Preis in €: gibt an, zu welchem Preis diese Stücke gehandelt wurden.
- Umsatz in €: ist das Produkt aus (Volumen x Preis in €). In der Formel entspricht das der „Anzahl der gehandelten Aktien x Preis“.
Volumen | Preis in € | Umsatz in € | |
1. Preisfeststellung | 248 Stück | à 46,785 € | 11.528,28 € |
2. Preisfeststellung | 654 Stück | à 46,185 € | 30.204,99 € |
3. Preisfeststellung | 26 Stück | à 46,185 € | 1.200,81 € |
Der VWAP nach der ersten Preisfeststellung ist klar:
(248 Stück x 46,485 €) / 248 Stück = 46,485 €
Der in der ersten Preisfeststellung gehandelten Preis.
Um den VWAP nach der zweiten Preisfeststellung zu berechnen, fügen wir die entsprechenden Zahlen in die Formel ein:
= \(VWAP\ (Tickdaten)=\ \frac{\left(248 \times 46,485\ €\right)\ +\ (654 \times 46,185\ €)}{248+654} =\ \frac{ 11.528,28\ € \times 30.204,99\ €}{902}= \ \frac{41.733,27\ €}{902}=46,267\ € \)
… nach der 2. Preisfeststellung beträgt der VWAP 46,267 €
Der VWAP nach der dritten Preisfeststellung berechnet sich dann folgendermaßen:
= \(VWAP\ (Tickdaten)=\ \frac{\left(248 \times 46,485\ €\right)\times(654 \times 46,185\ €)\ +\ (26 \times 46,185\ €)}{248\ +\ 654\ +\ 26} =\ \frac{ 11.528,28\ €\ +\ 30.204,99\ €\ +\ 1.200,81\ €}{928}= 46,265\ € \)
… nach der 3. Preisfeststellung beträgt der VWAP 46,265 €.
Da die Werte durch die sukzessive Addition ansteigen, wird der VWAP auch als kumulativer Indikator bezeichnet.
Nun stehen Tickdaten aber nicht jedem Trader zur Verfügung. Als sehr gute Annäherung können auch Intraday-Perioden wie zum Beispiel ein 5-Minuten-Chart verwendet werden. Dafür muss die Formel etwas angepasst werden.
Zeit-basiert: Wird als Basis ein Zeit-basierter Chart verwendet, wird als Erstes der typische Preis für diese Periode berechnet werden:
Der typische Preis wird mit dem Volumen dieser Periode multipliziert. Dieser Wert wird dann durch das Gesamt-Volumen dividiert:
- Der VWAP für die 1. Periode ist berechnet.
- Für den VWAP der 2. Periode wird der typische Preis der 2. Periode berechnet und mit dem Volumen der 2. Periode multipliziert.
- Die Umsätze der 1. Periode und der 2. Periode werden addiert und durch das Gesamtvolumen (also der Summe der 1. + 2. Periode) dividiert.
- Für den VWAP der 3. Periode wird der typische Preis berechnet und mit dem Volumen der 3. Periode multipliziert.
- Die Umsätze der 1. + 2. + 3. Periode werden addiert und dann durch das Gesamtvolumen (1. + 2. + 3. Periode) dividiert.
- Um den VWAP für die nächsten Perioden zu berechnen werden die neuen, typischen Preise berechnet und mit dem entsprechenden Volumen multipliziert. Dann werden die Umsätze aller Perioden addiert und durch das Gesamtvolumen aller Perioden dividiert.
Die Formel für die Zeit-basierte Berechnung des VWAP sieht folgendermaßen aus:
Unabhängig davon, ob der VWAP auf Basis von Tickdaten oder Zeit-basiert berechnet wird, ist aufgrund der Berechnung klar, dass der VWAP nicht sofort nach Marktöffnung verwendet werden kann. Es braucht erst Umsätze, bevor der Indikator berechnet werden kann.
Der VWAP ist ein nachlaufender (= lagging) Indikator, er hat keine vorauslaufenden Eigenschaften. Es werden nur historische Daten zur Berechnung herangezogen. Der Nachlauf ist umso größer, je mehr Daten für die Berechnung zur Verfügung stehen – oder anders gesagt: Je später der Handelstag, desto nachlaufender ist der VWAP.
VWAP versus SMA
Vergleichen wir einen 1-Minuten-VWAP mit einem gleitenden Durchschnitt (Abbildung 2). Dafür nehmen wir die Daimler-Aktie (XETRA) in einem 1-Minuten-Chart vom 04.11.2020 und fügen den VWAP und einen 510er SMA hinzu. Weil: Die XETRA-Handelszeit läuft von 9:00 bis 17:30 Uhr, macht 510 Minuten. Zum Handelsende um 17:30 Uhr basieren beide Durchschnitte auf eine 510-Minuten-Basis.
Mit Handelseröffnung startet der rote (weil Aktienkurs unter VWAP) VWAP ungefähr in der Mitte der ersten Kerze bei 46,16 €. Der blaue SMA 510 notiert ca. 1 € höher bei 47,17 € - weil 509 historische Daten vom Vortag in die Berechnung mit einfließen. Mit dem Schlusskurs notieren dann beide Durchschnitte – der grüne (weil Aktienkurs über VWAP) VWAP und der blaue SMA - bei 47,28 €.
VWAP mit Standardabweichungen
Bei einer Anwendungsvariante des VWAP wird dieser mit bis zu drei Standardabweichungen versehen, jeweils drei nach oben und drei nach unten.
Wir erinnern uns: Bei den Bollinger Bändern dient ein 20er SMA als Basis, der den mittelfristigen Trend anzeigt. Das obere Band ergibt sich aus dem SMA +2 Standardabweichungen und das untere Band aus dem SMA –2 Standardabweichungen. Mit diesen Standardeinstellungen liegen 95,4% aller Kurse in den Bollinger Bändern.
In Abbildung 3 ist der ES 03-21 vom 18.12.2020 im 15-Minuten-Chart mit dem VWAP und jeweils drei Standardabweichungen nach oben und nach unten abgebildet. Ist die VWAP-Linie grün, notiert der Kurs über dem VWAP. Ist die VWAP-Linie rot, notiert der Kurs unter dem VWAP.
Die Linie der 2. Standardabweichung ist beim VWAP - wie bei den Bollinger Bändern auch - die Wichtige. In der Regel wird sich der Markt nicht sehr lange oberhalb bzw. unterhalb der 2. Standardabweichung aufhalten - außer an sehr starken Trendtagen. Im vorliegenden Beispiel ist zu sehen, wie sich der Kurs insbesondere bei den Abwärtsbewegungen oft entlang der 2. unteren Standardabweichung gehangelt hat und diese somit als Widerstand fungiert hat. Bei der Gegenbewegung diente der VWAP oft als erstes Kursziel.
Anchored VWAP
Bei der klassischen Darstellung des VWAP startet dessen Berechnung mit der Handelseröffnung und endete zum Handelsschluss. Als Anwendungsvariante kann man den VWAP an einem selbst gewählten Zeitpunkt starten lassen. Zum Beispiel an einem signifikanten Hoch oder Tief oder der Veröffentlichung marktrelevanter Nachrichten.
In Abbildung 4 ist der ES 03-21 vom 18. und 21. Dezember 2020 im 15-Minuten-Chart mit einem Anchored VWAP abgebildet. Dieser wurde auf 15:30 Uhr „verankert“, der Handelseröffnung des S&P 500 (Kasse). Beide Tage hat der Future zur Handelseröffnung der Kasse erst mal kräftig abgegeben. Im weiteren Verlauf des Tages wurde ausgiebig die untere (am 18.12.) und die obere (am 21.12.), 2. Standardabweichung getestet.
Interpretation
Der VWAP dient als Referenzpreis für die Preise eines Tages. Aus diesem Grund ist der VWAP am besten für die Intraday-Analyse geeignet.
So kann man zum Beispiel den aktuellen Preis mit dem VWAP vergleichen:
- Notiert der aktuelle Preis über dem VWAP, befindet sich die Aktie / der Future in einem Aufwärtstrend
- Notiert der aktuelle Preis unter dem VWAP, befindet sich die Aktie / der Future in einem Abwärtstrend
Der VWAP kann auch zur Bestimmung des relativen „Values“ verwendet werden:
- Befindet sich der aktuelle Preis unter dem VWAP, dann ist die Aktie / der Future – zu diesem Zeitpunkt – unterbewertet.
- Befindet sich der aktuelle Preis über dem VWAP, dann ist die Aktie / der Future – zu diesem Zeitpunkt – überbewertet.
Insbesondere für institutionelle Anleger ist der VWAP eine wichtige Größe. Angenommen, ein Anleger mit sehr tiefen Taschen möchte 500.000 Daimler-Aktien kaufen (das ist keine Anlageempfehlung!). Der durchschnittliche Tagesumsatz im Xetra-Handel betrug 2019 4,3 Millionen Stück. Würden diese 500.000 Daimler Aktien als eine Kauforder in das Orderbuch gestellt werden, wäre da der Teufel los. Der Preis würde rasant steigen und der Investor müsste zu deutlich höheren Preisen einsteigen. So eine große Order wird „marktschonend“ in Häppchen aufgeteilt und eingestellt. Messlatte für eine gute Ausführung einer großen Order ist, wenn der Durchschnittspreis am Tagesende um den volumengewichteten Durchschnittspreis liegt.
Was für Einzelaktien gilt, gilt natürlich auch für Futures. Abbildung 5 zeigt den ES 03-21 im 3-Minuten-Chart am 03.11.2020. Ein grüner VWAP signalisiert einen steigenden Indikator, ein roter VWAP einen fallenden Indikator. Deutlich zu sehen ist, wie der Kurs immer wieder zu seiner volumengewichteten Mitte, dem zu diesem Zeitpunkt „fairen“ Preis, zurückkehrt und dann wieder gekauft wird:
- Kehrt die Aktie / der Future in einem Aufwärtstrend an seinen VWAP zurück, wird in der in der Regel gekauft.
- Kehrt die Aktie / der Future in einem Abwärtstrend an seinen VWAP zurück, wird in der in der Regel verkauft.
Kombination mit anderen Methoden
Die ganze Nacht über prallte der ES immer wieder am VWAP nach oben ab (Abbildung 5). Am Vormittag entfernte sich der ES deutlich weiter weg vom VWAP. Über den Mittag / frühen Nachmittag wurde dann eine Flagge als Korrekturmuster ausgebildet. Die Trend-bestätigende Flagge endete mit Erreichen des VWAP, anschließend erfolgte der Ausbruch nach oben.