Boersen-Zeitung: Renditen in Deutschland am Wendepunkt?

Von Fre­de­rik Alt­mann *)
Bör­sen-Zei­tung, 22.11.2023

Die Ren­di­te zehn­jäh­ri­ger Bun­des­an­lei­hen könn­te in den kom­men­den Mona­ten wie­der fal­len. Aus tech­ni­scher Sicht erscheint ein Rück­set­zer wahrscheinlich.

Die Ren­di­te zehn­jäh­ri­ger Bun­des­an­lei­hen könn­te in den kom­men­den Mona­ten wie­der fal­len. Seit Anfang 2022 war die Ver­zin­sung der deut­schen Staats­schul­den in einem his­to­risch außer­ge­wöhn­lich stei­len Anstieg aus dem nega­ti­ven Bereich bis auf ein Zwi­schen­hoch im Okto­ber nach oben gesprun­gen. Die Ren­di­te für zehn­jäh­ri­ge Bun­des­an­lei­hen erreich­te letz­ten Monat bis zu 3,02%.

Zuvor waren die Zin­sen in Deutsch­land rund 15 Jah­re lang nahe­zu ste­tig gefal­len von 4,7% im Juli 2008 bis auf nega­ti­ve −0,91% im März 2021. Zu die­ser Zeit erschien die Situa­ti­on dann gera­de­zu para­dox. Die Bun­des­re­gie­rung wur­de für das Auf­neh­men von Schul­den sogar bezahlt, so groß war offen­bar das ver­meint­li­che Sicher­heits­be­dürf­nis der Inves­to­ren. Erst im Febru­ar 2022 nor­ma­li­sier­te sich die Situa­ti­on wie­der und Inves­to­ren beka­men für Bun­des­an­lei­hen wie­der eine posi­ti­ve Ren­di­te. Mit rund 3% im ver­gan­ge­nen Monat schnell­te die­se dann sogar wie­der auf das Niveau von 2011.

Rück­set­zer möglich

Aus tech­ni­scher Sicht erscheint ein Rück­set­zer bei den Ren­di­ten nach die­sem atem­be­rau­ben­den Lauf nun durch­aus wahr­schein­lich. Im Gegen­zug könn­ten sich Anle­ger dann wie­der über stei­gen­de Kur­se für Bonds freu­en – wegen der inver­sen Bezie­hung von Anlei­he­kurs und -rendite.

His­to­risch ist ein Zins­satz von 3% für deut­sche Staats­an­lei­hen mit zehn­jäh­ri­ger Rest­lauf­zeit zwi­schen den Jah­ren 2005 bis 2011 des Öfte­ren bezahlt wor­den. Im Sep­tem­ber 2005 bil­de­te das Ren­dit­e­tief an genau der Schwel­le einen Extrem­punkt im Chart. Sol­che Wen­de­punk­te sind in der Chart­ana­ly­se immer beson­ders beach­tens­wert, weil es auf die­sem Preis­ni­veau zu einer ein­schnei­den­den Ver­än­de­rung im Ange­bot-Nach­fra­ge-Ver­hält­nis kommt. Nach­dem die Ren­di­te bis zu die­sem Punkt ste­tig gefal­len war, wur­de das Niveau von 3% im Sep­tem­ber 2005 am Markt als „zu güns­tig“ ange­se­hen. In der Fol­ge dreh­te das Ange­bot-Nach­fra­ge-Ver­hält­nis und die Ren­di­ten zogen wie­der an.

Zum Jah­res­wech­sel 2008/2009 kehr­te der Zins der Bun­des­an­lei­hen wie­der auf die­ses Niveau zurück und dreh­te – nach einem Tief bei 2,86% – wie­der nach oben. Auch in den Jah­ren 2010 und 2011 oszil­lier­te die Ver­zin­sung deut­scher Staats­pa­pie­re mit etwas grö­ße­ren Schwan­kun­gen erneut um 3%, bevor am Markt ein nach­hal­tig tie­fe­res Zins­ni­veau ab Mit­te 2011 ein­ge­preist wur­de. Aus die­sem his­to­ri­schen Ver­lauf resul­tiert bei einer Ren­di­te um 3% heu­te ein hori­zon­ta­ler Widerstand.

Auch die psy­cho­lo­gi­sche Wir­kung der 3-%-Marke als gro­ße, run­de Zahl ist nicht zu unter­schät­zen. Beruht doch die Chart­ana­ly­se im All­ge­mei­nen auf „typi­schen Ver­hal­tens­wei­sen“ von Anle­gern in bestimm­ten, wie­der­keh­ren­den Situa­tio­nen und dem mas­sen­psy­cho­lo­gi­schen Hin­ter­grund. Oft­mals lässt sich an mar­kan­ten Niveaus wie bei­spiels­wei­se der 15.000-Punkte-Marke im Dax oder von 100 Dol­lar beim Roh­öl­preis beob­ach­ten, dass sich die Prei­se schwer­tun solch eine Hür­de beim ers­ten Anlauf zu über­sprin­gen. Zumeist kommt es erst ein­mal zum Abpral­ler und einer Seit­wärts­pha­se. Ent­spre­chend stellt eine Ren­di­te von 3% für Bun­des­an­lei­hen auch eine psy­cho­lo­gi­sche Hür­de dar.

Ver­kaufs­si­gnal in der Markttechnik

Des Wei­te­ren hat der viel beach­te­te Markt­in­di­ka­tor MACD ein Ver­kaufs­si­gnal für die Ren­di­te gege­ben. Die­ser „Moving Avera­ge Con­ver­gence Divergence“-Indikator misst das Ver­hal­ten ver­schie­den lan­ger glei­ten­der Durch­schnit­te zuein­an­der und zeigt damit auch eine nach­las­sen­de Bewe­gungs­dy­na­mik an. Im unte­ren Abschnitt des Bil­des schnei­det zuletzt die rote MACD-Linie die blaue Signal­li­nie des Indi­ka­tors von oben nach unten. Damit hat die deut­sche Ren­di­te ein markt­tech­ni­sches Ver­kaufs­si­gnal gege­ben und das auf aktu­ell rela­tiv hohem Niveau des MACD. Im Ver­lauf des Charts kann man sehen, dass ein Schnitt­punkt im MACD oft­mals mit einem Extrem­punkt in der Ren­di­te ein­her­geht. Der Indi­ka­tor hat ent­spre­chend oft gute Signa­le geliefert.

Im – bis­her nicht abseh­ba­ren – Gegen­sze­na­rio durch­bricht die Ren­di­te die 3-%-Marke und springt mit neu­er Dyna­mik auf ein neu­es Zwi­schen­hoch über 3,02%. In die­sem Fall wür­de die oben dis­ku­tier­te Erwar­tung eines Rück­set­zers in den Ren­di­ten mit einem neu­en Kauf­si­gnal kon­ter­ka­riert. Anle­ger müss­ten sich dann auch aus tech­ni­scher Sicht auf einen neu­er­li­chen Anstieg Rich­tung 4,70% ein­stel­len. Hier liegt ein Hoch aus dem Juli 2008 als nächs­ter hori­zon­ta­ler Wider­stand nach oben. Mit allen nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf die Wirt­schaft und den Bun­des­haus­halt.
*) Fre­de­rik Alt­mann ist Invest­ment­ana­lyst bei Alpha Wertpapierhandel.


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