HB: „Allzeithoch in Sicht“ – Charttechniker sehen gute Chancen für Dax-Kursrekorde

Börsenprognose 

„Allzeithoch in Sicht“ – Charttechniker sehen gute Chancen für Dax-Kursrekorde

Der deut­sche Leit­in­dex star­tet mit Gewin­nen ins Jahr, allen Kri­sen­in­di­ka­to­ren zum Trotz. Und chart­tech­ni­sche Ana­lys­ten sehen Signa­le, dass der Dax 2023 noch wei­ter steigt. Doch es gibt Skeptiker.

Ulf Sommer

15.01.2023 - 12:57 Uhr

Düs­sel­dorf Allen Kri­sen und Abschwungs­er­war­tun­gen zum Trotz könn­te 2023 ein gutes Jahr für Akti­en wer­den. Und das nicht nur in den ers­ten zwei Wochen nach Sil­ves­ter, in denen der Dax um acht Pro­zent gestie­gen ist. Auch in den rest­li­chen elf­ein­halb Mona­ten dür­fen Anle­ge­rin­nen und Anle­ger mit stei­gen­den Kur­sen rech­nen – zumin­dest wenn man dem Votum tech­ni­scher Ana­lys­ten ver­traut, die das Han­dels­blatt zu den Per­spek­ti­ven an der Bör­se befragt hat.

„Die Chan­cen ste­hen gut, Rekord­hochs zu errei­chen. Ziel sind 16.830 Punk­te in die­sem Jahr“, sagt bei­spiels­wei­se Fre­de­rik Alt­mann vom Bro­ker­haus Alpha. „Hält sich der Dax nach­hal­tig ober­halb von 14.800 Punk­ten, gerät das All­zeit­hoch in Sicht“, pro­gnos­ti­ziert auch Karin Rol­ler, Bör­sen­händ­le­rin und Vor­stands­mit­glied der Ver­ei­ni­gung Tech­ni­scher Ana­lys­ten Deutsch­lands (VTAD).

Ihr Kol­le­ge Chris­ti­an Hen­ke vom Bro­ker IG nennt als Ziel 16.300 Zäh­ler, „wenn der Dax die 14.800 Punk­te wirk­lich hin­ter sich las­sen kann“. Mit ihren klei­nen Ein­schrän­kun­gen wei­sen Rol­ler und Hen­ke auf den Umstand hin, dass der Dax nicht nur kurz­zei­tig, son­dern nach­hal­tig, das heißt auf Wochen­kurs­ba­sis die Mar­ke von 14.800 Punk­ten hin­ter sich las­sen soll­te. Erst dann brei­te sich die nöti­ge Sicher­heit aus, damit wei­te­re Akti­en­käu­fe die Bör­sen treiben.

Traditionsreiche Analysemethode

Anders als die zah­len­mä­ßig sehr viel grö­ße­re Zunft der fun­da­men­ta­len Ana­lys­ten, die ihre Pro­gno­sen aus real­wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen, Unter­neh­mens­ge­win­nen und kon­junk­tu­rel­len Pro­gno­sen ablei­ten, ori­en­tie­ren sich tech­ni­sche Ana­lys­ten an Chart­bil­dern, wie­der­keh­ren­den Mus­tern und sai­so­na­len Entwicklungen.

Vor allem an der Wall Street genießt die Zunft der tech­ni­schen Ana­lys­ten seit den Erfol­gen des Bör­se­nalt­meis­ters Jes­se Liver­mo­re im frü­hen 20. Jahr­hun­dert tra­di­tio­nell star­ke Auf­merk­sam­keit. Der ame­ri­ka­ni­sche Trader ori­en­tier­te sich an Kurs­hochs und -tiefs und wur­de vor allem durch sei­ne Spe­ku­la­tio­nen auf fal­len­de Kur­se in den Crashs 1907 und 1929 reich.

Die jün­ge­re Ver­gan­gen­heit gibt den vom Han­dels­blatt befrag­ten fünf tech­ni­schen Ana­lys­ten recht: „2022 wird nicht das Jahr der Aktie“, lau­te­te vor genau einem Jahr der Titel zu den Emp­feh­lun­gen der­sel­ben Exper­ten. Vor zwei Jah­ren hieß ihre Kern­bot­schaft: „Chart­tech­nisch ste­hen alle Ampeln auf Grün.“ Damals ziel­te die Dax-Pro­gno­se bis auf 16.500 Punk­te. Tat­säch­lich schaff­te es der Dax bis auf ein­ein­halb Pro­zent an die­se Mar­ke heran.

Der Opti­mis­mus für 2023 mag über­ra­schen, weil vie­le fun­da­men­ta­le Ana­lys­ten vor­sich­ti­ger oder gar pes­si­mis­ti­scher ein­ge­stellt sind, ange­sichts des rus­si­schen Angriffs­kriegs in der Ukrai­ne, hohen Ener­gie­prei­sen, gestör­ter Lie­fer­ket­ten und stei­gen­der Zin­sen. Dadurch ver­teu­ern sich die Kre­dit­kos­ten für Ver­brau­cher und Unter­neh­men, was Gewin­ne und künf­ti­ge Divi­den­den schmä­lert. Eine Han­dels­blatt-Umfra­ge im Dezem­ber ergab, dass die Ban­ken den Dax Ende 2023 im Schnitt bei 15.300 Punk­ten erwar­ten, ein Plus von rund zehn Pro­zent. Selbst das wäre ein gutes Ergeb­nis nach einem schlech­ten Jahr 2022 mit zwölf Pro­zent minus.

Aus Sicht der Chart­tech­ni­ker gibt es aber vie­le Grün­de für deut­lich stär­ker stei­gen­de Kur­se in die­sem Jahr.

Starkes Signal 1: Die V-förmige Erholung

Ähn­lich wie nach dem Coro­na-Crash 2020 signa­li­siert aus Sicht der Exper­ten die im Okto­ber 2022 ein­set­zen­de rasan­te Erho­lung nach dem tie­fen Kurs­ver­fall – der Chart sieht wie ein V aus – eine hohe Kauf­be­reit­schaft. Alte Rekord­hochs aus den Jah­ren 2017 und 2019, die etwas unter­halb von 13.800 Punk­ten lagen, wur­den dyna­misch über­wun­den.
Damit ist aus Sicht von Alt­mann der lan­ge Auf­wärts­trend, der sich seit 2009 eta­bliert hat­te, wie­der her­ge­stellt. Er wur­de zwei­mal kurz­fris­tig gebro­chen: 2020 im Coro­na-Crash und 2022 nach Aus­bruch des Ukrainekriegs.

Die rasche Trend­um­kehr nach oben ist eine typi­sche Bären­fal­le: Pes­si­mis­ten, die Akti­en in Erwar­tung wei­ter fal­len­der Kur­se ver­kauf­ten, wur­den getäuscht. Sie müs­sen nun wie­der ein­stei­gen, wenn sie den stei­gen­den Kur­sen nicht hin­ter­her­lau­fen wol­len. Die­se Anschluss­käu­fe lie­ßen die Kur­se in den ver­gan­ge­nen Mona­ten immer wei­ter steigen.

Dass die Erho­lung in den USA weit weni­ger dyna­misch ver­läuft, stört die Exper­ten nicht son­der­lich. Vor allem in Auf­schwungs­pha­sen gab es in der Ver­gan­gen­heit häu­fig Momen­te, in denen der Dax vor­über­ge­hend deut­lich bes­ser per­form­te. Dass es an der Tech­no­lo­gie­bör­se Nasdaq trotz anhal­ten­der Tech­no­lo­gie-Schwä­che seit Mona­ten kei­ne neu­en Tiefs gab und immer wie­der neue Kauf­be­reit­schaft den Kurs­ver­fall stopp­te, wer­tet Alt­mann als ein star­kes Signal für alle Börsen.

Starkes Signal 2: Der Präsidentschaftszyklus

Vor­wahl­jah­re in den USA – 2024 fin­det die nächs­te Prä­si­dent­schafts­wahl statt – sind seit Jahr­zehn­ten die bes­ten Bör­sen­jah­re. „Das ist die Zeit, in der die Kan­di­da­ten ihre Ver­spre­chun­gen machen“, sagt VTAD-Exper­tin Roller.

Die Bilanz ist nach Aus­sa­ge von Jörg Sche­rer, Lei­ter der tech­ni­schen Ana­ly­se bei HSBC Deutsch­land, seit dem Zwei­ten Welt­krieg beein­dru­ckend: Wer in US-Zwi­schen­wahl­jah­ren in Akti­en inves­tier­te, erlitt in den dar­auf­fol­gen­den zwei Jah­ren nur ein­mal einen Ver­lust: 2006 bis 2008, als die Finanz­kri­se aus­brach. Ins­ge­samt ließ sich eine durch­schnitt­li­che Zwei­jah­res-Ren­di­te von 24 Pro­zent erzie­len. Hält die­se seit dem Zwei­ten Welt­krieg gül­ti­ge Sta­tis­tik stand, dann wäre der Zeit­raum zwi­schen 2022 (Zwi­schen­wahl­jahr) und 2024 (Wahl­jahr) solch eine star­ke Gewinnphase.

Sche­rer setzt dar­auf: Sofern der Dax das ers­te Jah­res­ziel von 15.000 Punk­ten nach­hal­tig hin­ter sich las­se – das bedeu­tet meh­re­re Han­dels­ta­ge hin­ter­ein­an­der – ist für ihn der Weg „frei für 16.000 Punk­te mit Blick auf das All­zeit­hoch“. Dies erreich­te der Dax am 5. Janu­ar ver­gan­ge­nen Jah­res mit 16.272 Zählern.

Starkes Signal 3: Die schwindende Angst

„Seit Mona­ten ver­rin­gern sich Sor­gen und Ängs­te an der Bör­se“, sagt IG-Exper­te Hen­ke. Sei­ne Aus­sa­ge grün­det auf den VDax. Das ist das Bör­sen-Angst­ba­ro­me­ter, das Kurs­schwan­kun­gen und Absi­che­run­gen gegen fal­len­de Kur­se misst. Je nied­ri­ger der VDax notiert, des­to weni­ger rech­nen Inves­to­ren mit stark schwan­ken­den und vor allem sin­ken­den Kursen.

Aktu­ell steht der VDax bei 19 Punk­ten. Das ent­spricht in etwa dem lang­jäh­ri­gen Norm­be­reich, in dem die Kur­se gewöhn­lich ste­tig stei­gen. Kurz nach Aus­bruch des Ukrai­ne­kriegs waren es 48 Punk­te. Der VDax-Rück­gang signa­li­siert, dass Inves­to­ren Monat für Monat muti­ger wer­den – ohne dass eine zu gro­ße Sorg­lo­sig­keit herrscht. Dies wür­de bei einem VDax-Niveau von deut­lich weni­ger als 15 beginnen.

Fehlt für einen wirklichen Aufschwung die Panik?

Die Stim­mung an der Bör­se ist zwar auch für Klaus Dep­per­mann ein wich­ti­ger Grad­mes­ser, doch der ban­ken­un­ab­hän­gi­ge Ana­lyst mahnt dies­be­züg­lich zur Vor­sicht. Für einen nach­hal­ti­gen Auf­schwung fehlt ihm ein vor­an­ge­gan­ge­ner panik­ar­ti­ger Aus­ver­kauf, der von hohen Umsät­zen beglei­tet ist. So wie es im Coro­na-Crash 2020 und in der Finanz­kri­se 2009 bei­de Male war.

Abzu­le­sen ist die­se Sicht­wei­se am VDax: Er war im Bör­sen­ver­fall 2022 zwar gestie­gen, blieb aber weit unter den Höchst­stän­den von mehr als 80 Punk­ten, die er sowohl im Coro­na-Crash als auch in der Finanz­kri­se erreicht hat­te. Erst danach war der Markt „berei­nigt“ und für eine nach­hal­ti­ge Trend­um­kehr bereit.

Dep­per­mann steht mit sei­ner Mah­nung nicht allein. VTAD-Kol­le­gin Rol­ler weist eben­falls dar­auf hin, dass der für einen län­ger­fris­ti­gen Auf­schwung vor­an­ge­gan­ge­ne ide­al­ty­pi­sche „Panic-Sell-off“ bis­lang gefehlt habe.

Dep­per­mann rech­net mit einem schwan­kungs­rei­chen Jahr und kann sich nicht vor­stel­len, dass Euro­pa und der Dax sich wei­ter­hin so extrem stark gegen­läu­fig wie bis­her zu den schwa­chen US-Märk­ten ent­wi­ckeln. Sein Dax-Kurs­ziel für 2023 reicht nur bis zu 15.100 Punk­ten – die in der ver­gan­ge­nen Woche kurz­zei­tig erreicht wurden.

Sein wei­te­res Sze­na­rio lau­tet: Fal­len­de Kur­se bis März, gefolgt von einer Zwi­schen­er­ho­lung bis zum frü­hen Herbst – und anschlie­ßend ein neu­er­li­cher Rück­fall. Der Skep­ti­ker ist sich aller­dings sicher, dass der Dax sein altes Tief von 11.900 Punk­ten aus dem ver­gan­ge­nen Jahr erfolg­reich ver­tei­di­gen wird und „allen­falls in des­sen Nähe fal­len wird“.


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